„Den Schlüsselbart müssen Sie immer mit der Hand bedecken“ sagt der Gefängnisseelsorger. Der große Schlüssel ragt eine gute Handbreit aus seiner Faust heraus, aber der Bart ist tatsächlich in der Faust verborgen. „Manche Gefangene können sich die Zacken merken und bauen den Schlüssel in der Werkstatt nach.“ Es klackt metallisch, jetzt lässt Ulli Schönrock die Fehntjer Pastoren durch die Eingangsschleuse ins Gefängnis in Meppen ein.
Er informiert heute über den Alltag im Knast und über das Besondere der Gefängnis-Seelsorge: „Die Gefangenen müssen auf sehr viel mehr als nur ihre Freiheit verzichten; sie leben in einem System, in dem außer Atmen alles überwacht wird“. Die Institution Knast greift auf das ganze Leben der Insassen zu. Gefangene stehen deshalb unter enormem psychischem Druck: jeder Schritt außerhalb der Zelle wird begleitet, jede Äußerung, jeder Fluch kann in der Beurteilungsakte landen. In einem solch totalitären System ist die Gefahr groß, dass der Mensch zum bloßen Gegenstand wird. Wie kann in diesem System die Menschwürde gewahrt werden, die der Staat ja allen garantieren muss, auch seinen Gefangenen?
Nicht ohne Stolz sagt Schönrock: „Aus diesem Grund gibt es uns Seelsorger." Wir sind der Bereich, in dem der Staat auf seinen Zugriff verzichtet. Hier wird die Freiheit gewährt, auch mal zu Fluchen und überhaupt Gefühle wie Zorn, Trauer, Angst und Verzweiflung rauszulassen, ohne dass es in der persönlichen Akte landet. Schönrock erzählt: „Einer hatte mal gesagt: Dem Direktor ziehe ich eins mit dem Baseballschläger über!“; dabei ging es darum, dass er seine Hafterleichterung nicht bekommen hatte, wie erhofft. Nachdem der Gefangene im Gespräch Druck ablassen konnte, sagte er dann selbst: „Na, das hab´ ich doch nur so gesagt“.
Der Seelsorger begegnet allen Gefangenen unvoreingenommen. Man darf nicht vergessen: Alle haben etwas auf dem Kerbholz und man darf nicht die Geschädigten aus dem Blick verlieren. Aber im Knast gilt: Der größte Anteil derer, die Täter wurden, waren vorher selbst Opfer. Oft schon in sehr jungen Lebensjahren.
Der Seelsorger sieht sich als Ansprechperson für alle Gefangenen, für Angehörige, ebenso für die Bediensteten der Justiz. Er sieht es als seine Lebensaufgabe, Druck aus diesem System Gefängnis herauszunehmen. Wie kann das geschehen? Nun, nicht anders als in Freiheit auch: Ich muss meine Gaben entdecken, mir selbst etwas zutrauen. Dann muss ich merken, dass ich etwas bewegen kann, etwas zum Guten verändern kann. Hinter der Gefängniskapelle gibt es einen kleinen Garten, gepflegt wie kein zweiter. Schönrock sagt: „Manpower haben wir hier ja genügend. Wenn wir diese Arbeitskraft in ein Unternehmen stecken könnten…“, schließlich braucht es ja auch um Schlüssel nachzufeilen, Talent und Fleiß. Im Garten entdecken die Gefangenen hoffentlich, wie schön die Schöpfung Gottes ist. Und dass es sich lohnt, sich zu resozialisieren.
Meine Erkenntnis des Tages: Gefängnisinsassen sind auch nicht viel anders als ich selbst. Aber viele hatten zu Beginn ihres Lebens sehr viel schwierigere Startbedingungen.
Torben Weinz, Collinghorst