Wenn zehntausende, gar hunderttausende Menschen auf die Straße gehen, um für oder gegen etwas zu protestieren, dann ist das erst einmal eine gute Sache. Nicht zu schweigen. Die eigene Meinung kundzutun. Und festzustellen, dass man nicht allein ist. Gemeinsam ist man so viel stärker! Und es macht auch Eindruck: Die Trecker-Konvois, an denen keiner mehr vorbeikommt. Die Massen von Menschen, die Straßen und Plätze ausfüllen. Die Streiks, die man wahrlich nicht ignorieren kann, weil sie den Bahn- oder Flugverkehr lahmlegen oder Arztpraxen oder KiTa´s oder Krankenhäuser – überall da, wo es wirklich wehtut. Nicht zu übersehen die Botschaft: Ohne uns geht es nicht! Oder auch, bei den Demos gegen Rechts: Nicht mit uns! Da kann man zeigen, dass man nicht machtlos ist. Und dass „die da oben“ nicht einfach machen können, was sie wollen. Wer protestiert, redet mit. Und das ist gut. So ein Protest macht Probleme sichtbar. Und wenn man es richtig anpackt, wird er auch etwas verändern. Die Protestkultur ist ein wichtiges Mittel der Demokratie.
Problematisch wird es erst, wenn das rechte Maß verlorengeht. Wenn sich unter die Slogans auf den Plakaten Hassbotschaften mischen, wenn die Sprechchöre zu Wutgebrüll mutieren, wenn Politiker offen bedroht werden oder gar Steine fliegen. Auch wenn junge Leute, die mit festgeklebten Händen auf der Straße sitzen, unflätig beschimpft und verprügelt werden. Da wird etwas sichtbar, was mir Sorgen macht. So verändert sich nichts – jedenfalls nicht zum Guten. Wenn Proteste etwas „bringen“ sollen, können sie nur ein Anfang sein: Ein Aufruf zum Gespräch auf Augenhöhe, mit gegenseitigem Respekt und der Bereitschaft, einander zuzuhören. Dann kann man gemeinsam eine Lösung finden, die alle weiterbringt. Das ist eine hohe Kunst und gelingt ganz bestimmt nicht mit der Brechstange!
Wir haben für dieses Jahr den perfekten Wegweiser für eine gute Protestkultur: Die Jahreslosung aus der Bibel. „Alles, was ihr tut, soll in Liebe geschehen.“(1.Kor.16,14). Besser kann man es nicht sagen! Denn wenn Liebe die Richtschnur für unser Denken und Handeln ist, geht das rechte Maß nicht verloren. Dann ist Protest eine gute Sache. Und das gemeinsame Suchen nach dem richtigen Weg wird auch etwas verändern.
Ulrike Sundermann,
Pastorin in Backemoor-Breinermoor