In der Kirche sitzen etwa siebzig Menschen. Von ganz Jung bis ganz Alt sind heute alle versammelt. Zwei Kinder sollen getauft werden. Der Gottesdienst ist inzwischen bei der Predigt angekommen. Mittendrin fragt sich die Pastorin: „Können wir Gott vertrauen?“ Ein kleiner Junge im frühen Kindergartenalter hat offenbar genau hingehört. Seine Antwort kommt spontan: „Nein!“ ruft er klar und deutlich und für alle hörbar in den Kirchenraum hinein. Es folgt weder betretenes Schweigen noch ein „Psst“ oder „Schscht“. Zum Glück! Stattdessen erschallt ein fröhliches Lachen von den Kirchenbänken. Es klingt nach Erleichterung. Der Junge spricht aus, was wohl viele empfinden, wenn sie sich ehrlich die Frage stellen, ob sie Gott vertrauen können.
An dieser Stelle gilt es zuerst, ein Missverständnis zu vermeiden, denn die Frage, ob man jemandem vertrauen kann, kann in ganz unterschiedliche Richtungen zielen. Man kann zum Beispiel nach der Glaubwürdigkeit einer Person, einer Organisation oder einer Partei fragen. In diese Richtung gefragt, schwingen Zweifel an deren Vertrauenswürdigkeit oder Glaubwürdigkeit mit. Wird mein Vertrauen missbraucht? Nutzt der Mensch, die Organisation oder die Partei mein Vertrauen aus, um sich auf meine Kosten und zu meinem Schaden einen Vorteil zu verschaffen? Das soll ja vorkommen! Stehe ich am Ende dumm da oder bin ich sogar verletzt an Leib und Seele? Ich vermute, wir alle haben in unserem Leben mehr oder weniger Vertrauensmissbrauch erlebt. Manchmal als Opfer und, wenn wir ehrlich sind, manchmal auch als Täter.
Das NEIN des Jungen und das fröhlich Lachen der Gottesdienstgemeinde weisen in eine ganz andere Richtung. Können WIR Gott vertrauen? Sind WIR dazu fähig und in der Lage? - „Nein!“ Der Junge hat Recht, und die Gemeinde ahnt das. Aus eigener Kraft können wir Gott nicht vertrauen! Darin sind sich jedenfalls große Theologen wie der Apostel Paulus oder Martin Luther einig. Auch Julie Hausmann sagt im Gesangbuchlied „So nimm denn meine Hände“ in der dritten Strophe: „Wenn ich auch gleich nichts fühle von deiner Macht, du führst mich doch zum Ziele auch durch die Nacht.“ Und ein Sechsjähriger äußerte einmal: „Papa, ich glaube nicht an Gott. - Aber Gott ist freundlich genug, mir deswegen nicht böse zu sein!“ Welch ein unglaubliches Gottvertrauen! Gottes Liebe ist so unglaublich unbegreiflich. Der 1. Johannesbrief drückt das so aus: „Gott ist die Liebe. … Darin besteht die Liebe: nicht dass wir Gott geliebt haben, sondern dass er uns geliebt hat.“ So herum passt es! Auch wenn uns der Mut und die Kraft fehlen, Gott zu vertrauen, auch wenn wir von Gottes Macht nichts spüren, wenn wir nicht an Gott glauben können und wenn wir uns dieses Unvermögen demütig eingestehen mit einem fröhlichen „Nein, wir können nicht Gott vertrauen!“, so sagt Gott trotzdem oder gerade deswegen bedingungslos „Ja“ zu uns. Darauf vertraue ich und sage dem kleinen Jungen von ganzem Herzen „Danke“.
Bleibt behütet!
Mathias Dittmar, Pastor i.R.