Und doch – 9.11.2024

Ein Rosenstrauch im Herbst. Dornen sind sichtbar, sehr viele Dornen. Sie sind Schutz für die Rose, auch im Herbst und Winter, wenn gar keine Blüten da sind.

An einem Rosenstrauch ist ein starker Zweig abgeschnitten worden. Professionell sieht das nicht aus. An der Stelle geht es nicht weiter, da wächst nichts mehr. War das nötig? Dieser starke Zweig hätte doch weitere Zweige und Blüten hervorbringen können; jetzt nicht mehr. Vielleicht ein Versehen, vielleicht nicht gewollt, trotzdem geschehen. Vielleicht auch bewusst abgeschnitten. So oder so, diese Stelle im Rosenstrauch, dieser Rückschnitt bleibt sichtbar, ein Rosen-Leben lang. Die Dornen konnten die Rose nicht schützen.

Und doch: wachsen neue Triebe mit der Zeit, die wiederum neue duftende Blüten hervorbringen, an denen mensch sich freuen kann. Es braucht Zeit und Geduld. Ein nächstes Frühjahr kommt.

Manchmal sind Bilder aus der Natur übertragbar aufs menschliche Leben: auf einmal geht es nicht weiter; auf einmal fühlt es sich an, als wäre etwas abgeschnitten worden; auf einmal Verletzung, Tod, Trauer, mitten im Leben. Wir hätten doch noch so viel vorgehabt, aber nichts konnte vor dem Einschnitt schützen. In Herbst- und Winterzeiten wird es vielleicht besonders bewusst. 

Mag sein, dass es weiter geht an anderer Stelle, mag sein, dass neue Stile und Blüten wachsen, aber das Abgeschnittene bleibt genauso sichtbar, ein Leben lang. Ja, im menschlichen Leben braucht es auch Zeit und Geduld und mindestens ein nächstes Frühjahr. 

Ein großer Unterschied zwischen Rosenstrauch und Menschenleben ist, dass freundliche Menschen Unterstützung, Ablenkung, Hilfe, Pflege, Ermutigung, Hoffnung geben können und mensch nicht, wie ein Rosenstrauch, auf sich allein gestellt ist. Menschen können auch von anderen Menschen lernen, die ähnliche Situationen erlebt oder gleiche Gefühle durchlebt oder Lebensphasen gelebt haben. Voneinander lernen, ganz persönlich in Gesprächen oder Gruppentreffen und auch literarisch in Lebens- oder biblischen oder sonstigen Geschichten. Manchmal lässt die Aktualität von Situationen und Erfahrungen, die sich weit vor unserer Zeit abspielten, einfach nur staunen. Gleichzeitig wächst die Ermutigung, die Hoffnung, dass, wie zuvor, ein nächstes Frühjahr kommt.

In einer biblischen Geschichte z.B. kommt ein Mensch zu Jesus und weint, sitzt ihm zu Füßen und weint, weil Trennung, Krankheit, Tod, Trauer, Abgeschnittensein nunmal zum Weinen ist. Jesus, ein freundlicher Mensch, vielleicht auch mehr als das, nimmt wahr, sieht hin, setzt sich ein und lässt teilhaben und innerer Friede kehrt, wie ein nächstes Frühjahr, zurück.

Holger Baller,

Pastor der Evangelischen Gemeinschaft Rhauderfehn